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Die Welt fällt auseinander
11 Schüler der Alfred Nobel Schule
2020

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Die Welt fällt auseinander

Von Silke Ballath

Das künstlerisch-edukative Projekt, „MACHT ISST ESSEN‘, das Lukas gemeinsam mit Ben, Bekir, Burak, Donard, Drazen, Gino, Haissam, Hüsseyin, Kubilay, Neo, Emirhan und ihrer Lehrerin Madeleine Mansmann sowie mir, als begleitender Kulturagentin in diesem sehr speziellen Jahr 2020 umsetzte, stand von Anfang an unter einem besonderen Stern (* s. unten).

Vielleicht war es unser Glück, dass wir uns von Beginn an verschiedenen Herausforderungen gestellt haben. Mit Sicherheit ist nicht alles ideal verlaufen, aber wir haben uns auf jede Herausforderung eingelassen. Was lernen wir daraus?

Beim Lesen der Interviews passierte es mir mehrfach, dass ich gleichzeitig lachte und dazu angeregt wurde über bestimmte Zusammenhänge und Gedanken nachzudenken, die Ben, Bekir, Burak, Hüsseyin, Kubilay, Neo, Emirhan und Lukas anstießen. Außerdem habe ich etwas gelernt, nämlich dass Krokodile sehr geduldig sind.

Was mir aber besonders gelungen erscheint ist, dass ausgehend von dem thematischen Schwerpunkt die Verbindung von Alltagserfahrungen und persönlichen Interessen mit den Projektinhalten für diejenigen, die an diesem Projekt teilnahmen nicht nur neue Denkräume, sondern vor allem auch Ideen für die künstlerische Umsetzung eröffneten. Das heißt, wenn beispielsweise aus einem persönlichen Interesse heraus ein Bezug zu einer Eigenschaft eines Tieres aufgebaut wurde, entwickelten sich aus den Vorstellungen Ideen für die künstlerische Umsetzung der Darstellung dieses Tieres.

Ausgangspunkt für das fachübergreifende Projekt war die Beschäftigung mit der Zelle gewesen. Dass Corona unser Projekt unterbrach, war so gesehen zwar unpraktisch und natürlich brachte das viele andere Herausforderungen mit sich, aber in Bezug auf die Frage, was eine Zelle ist, wie sie aussieht und was sie mit uns zu tun hat, lieferten die Darstellungen des Virus in den Medien eine Vorstellung davon, wie etwas, das man nicht sieht unseren Alltag beeinflussen und verändern kann. „Die kleine Welt“, wie sie von einem Schüler genannt wurde, eröffnete also neue Betrachtungsweisen für alle Projektteilnehmer*innen:

Die Möglichkeit beispielsweise in dem einen Fach etwas zu lernen und es in dem anderen Fach darzustellen, beschreibt er als guten Ausgangspunkt dafür, eine Darstellung für seine Vorstellung zu entwickeln. Oder die eigene Darstellung mit anderen Darstellungen zu vergleichen oder schlicht, um eine Beziehung zu der eigenen Vorstellung zu entwickeln, ihr ein „Gesicht“ zu geben.

Die Fokusverschiebung des Projektes von Essen auf Überlebensstrategien entstand ausgehend von den Fragen, welche Lebensräume ein Eisbär benötigt oder wie eine Schildkröte an Essen kommt, oder wie alt sie wird. Ein Tier, das nur Plastik als Nahrung findet, wird zwangsläufig einen Überlebenskampf führen, ebenso wie ein Tier, das zwar schlau und stark ist, aber dessen Lebensraum, im wahrsten Sinne des Wortes wegschmilzt. All diese Beispiele zeigen auf, dass „die Welt gerade auseinanderfällt“, wie ein anderer Schüler zusammenfasst. Und die Zelle, die Ausgangspunkt für unsere Beschäftigung mit Kunst und Biologie war, ist Teil all dieser Dinge: Sie ist wie ein Verbindungsglied.

Was wir daraus lernen ist eine Frage, die ich weder abschließend beantworten kann, noch möchte: Ich würde ausgehend von den Gesprächen zwischen den Schüler*innen und Lukas sagen, dass sowohl das Künstlerische als auch die Biologie Antworten und weitere Fragen darauf liefern können, mit den Herausforderungen, Fragen und Themen unserer Zeit umzugehen. Indem mittels künstlerischer Darstellungsweisen einer Idee, einem Gedanken etc. eine Form gegeben wird, eröffnet die Form, unter anderem, eine neue Perspektive auf bisher Gekanntes und Wahrgenommenes. Was mir besonders wichtig an dieser Verbindung von Kunst und Biologie scheint, ist so viel mehr als ein fachübergreifendes Herangehen zwischen zwei Bereichen. Diese Verbindung funktioniert, weil in der Formgebung ein eigener Ausdruck in Bezug auf eine Idee oder Vorstellung entwickelt wird. Die Vorstellung verbindet sich mit einer Erfahrung. Und die Erfahrung ist ein Möglichkeitsraum, in dem sich abzeichnet, dass Vorstellungen umsetzbar sind.

*

Das Projekt war als Auseinandersetzung mit dem Thema Essen geplant. Uns interessierte, welche Fragen und Themen diejenigen aufgreifen würden, mit denen wir das Projekt umsetzen wollten: die Schüler*innen. Wir dachten beispielsweise, dass es spannend sein könnte, den Biologie- und den Kunstunterricht miteinander zu verzahnen und korrespondierend Themen aufzugreifen. Zum Beispiel die Zelle, um von da aus Pflanzen und Tiere und die Verwertung und Herstellung von Essen, aus verschiedenen Fach- und Blickrichtungen zu erforschen.Im Prozess wurde dann schnell deutlich, dass das Interesse der Jugendlichen stärker auf Themen wie Macht und Bemächtigungsstrategien im Kontext von Umweltfragen, der Zerstörung des Planeten und eigenen Überlebensstrategien lag. So veränderten wir die Richtung und mit unterschiedlichen künstlerischen Vorgehensweisen entstanden hybride Tierzeichnungen, Tonköpfe und performative Aneignungen Und als wir dann eine Ausstellung als Form der Dokumentation planten, musste das Projekt vorzeitig beendet werden, weil Corona dazwischen kam. Aus dieser Situation heraus sind die Interviews und Reflexionen entstanden, die in die vorliegende Publikation mündeten.

→ In Kooperation den Lehrer*innen Birte Trabert und Madeleine Mannsmann der Alfred Nobel Schule,

→ Silke Ballath von den Kulturagenten Berlin

https://kulturagenten-berlin.de/

https://alfred-nobel-schule.de

 

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